Bestrafung und Belohnung stammen aus dem gleichen Wertesystem.

13.10.2024

"Ich würde weder Belohnung noch Strafe als pädagogisches Mittel einsetzen, beide gehören zum gleichen System in dem Recht und Gerechtigkeit durch Vergeltung hergestellt werden."

Marshall B. Rosenberg

Als ich dieses Zitat das erste Mal las, mich bis dahin noch nicht mit dem Thema Lob befasst hatte, war ich überrascht und irritiert, weil ich diese Ansicht gerne verstehen und diesen Gedanken mit meinem Denken vereinen wollte.

Ich befasste mich mit dem Thema Lob, Belohnung und Bestrafung u.a. auch durch die Inhalte des Growth Mindset von Carol Dweck.


Das Zitat von Rosenberg kling erstmal "hart", finde ich. Wir meinen es als Erwachsene doch gut, wenn wir Kinder loben oder belohnen, gell. Ich nehme Lob mit hinein, weil es sich aus meiner Sicht auch dabei so verhält, wie es im Zitat steht.


Lass uns mal hinter Belohnung und Lob blicken:

Eine interessante Frage, die wir uns stellen können, ist:

Was wollen wir mit Belohnung und Lob erreichen? 

Konkret (GFKisch): 

 Welches Bedürfnis erfüllt UNS Lob und Belohnung in dem Moment?

Aus welchem (guten) Grund loben bzw. belohnen wir?

Ich sehe an vielen (Grund-)Schulen ein Belohnungssystem, was ich hier in dem Artikel als Beispiel nutzen möchte:.

Das System dort funktioniert z.B. mit Muggelsteinen: 

Teilweise für die ganze Klasse, teilweise auf Gruppen aufgeteilt (Bank-, Mittel-, Fensterreihe).

Im Zitat steht das Wort Vergeltung. 

Ich verstehe das so:

Ich mag es in Aussagen verständlich machen:

Strafe:

"Wenn du DAS UND DAS nicht TUST, dann musst du nach- oder vorsitzen/Texte abschreiben."

Belohnung:

"Wenn du DAS UND DAS TUST (was ICH will), dann bekommst du/ihr einen Muggelstein."

In beiden Fällen möchte ICH ein gewisses Verhalten hervorrufen, damit Bedürfnisse von MIR erfüllt sind OHNE zu schauen/nachzufragen, was mein Gegenüber braucht:

"Was ist dein (guter) Grund, dass du dich so verhältst? Was brauchst du gerade?"

Vor allem wir Erwachsene nutzen dieses System von Belohnung & Bestrafung,

weil wir uns etwas wünschen, was wir in dem Moment (dringend) brauchen. 

Wir nutzen dieses System, weil es bei Kinder (häufig) funktioniert und/oder weil wir selbst so aufgewachsen sind.

Was verhindert dieses System:

 Gleich-wertigkeit, 

Ver-bindung

Miteinander und 

wertschätzenden Umgang. 

Also genau das, was wir Erwachsenen uns und Kinder sich von Herzen wünschen.

Am Ende geht es häufig nach hinten los und fördert 

Gegeneinander, 

Schuld und 

Scham.

Das erleben wir Trainer z.B. in den Schulen. Bestrafungs- und Belohnungssysteme funktionieren immer weniger, bis gar nicht mehr UND es fördert, wie schon erwähnt, ein Gegeneinander - vor allem auch in den Klassen.                                                                                                                                                       Es fördert das Schuld- und Scham-Denken, was uns noch mehr voneinander trennt.


Ich habe mich letztens mit meiner Tochter über ihre Grundschulzeit unterhalten. Ich wollte wissen, wie für sie dieses Belohnungssystem als Schülerin war:

Sie bestätigte mir, dass ein Gegeneinander in der Klasse stattfand:

"Du bist Schuld, dass wir jetzt keinen Stein bekommen haben!" 

"Du bist zu langsam gewesen!" 

und ähnliches wurde sich in den Klassen gegenseitig an den Kopf geworfen.

Wenn man sich damit befasst, ist das allzu verständlich.

Was erfüllt sich uns, wenn wir belohnen oder auch bestrafen? 

Anders gefragt: 

Was ist gerade unerfüllt, so dass wir zu diesen Mitteln greifen?

Aus meiner Sicht ist es hilfreich,  sich seiner selbst bewusst zu werden. Damit meine ich:

Wenn ich weiß, was ich brauche, kann ich lernen andere Wege zu finden.

Ich tendiere gedanklich immer noch ab und an zum Lob oder Belohnung. Es kostet mich teilweise Energie, das nicht zu nutzen, weil in meinem Gehirn diese alten Verknüpfungen sind, dass das schnell und leicht geht. Ja, mag sein, dass es schnell und leicht. 

Nur zu welchem Preis?

Es kostet uns aus meiner Sicht viel, wenn wir so handeln. 

Nicht nur einzelnen Kindern oder einzelnen Klassen, sondern der gesamten Gesellschaft.

Schuld und Scham kann durch Strafen als auch durch Belohnung entstehen.

"Wenn ich nicht so funktioniere, wie gewünscht, bin ich nicht okay. Ich habe es nicht verdient."

"Ich bin Schuld, dass wir jetzt keine Belohnung bekommen. Ich bin nicht gut genug."


Denkst du vielleicht gerade: "Jetzt übertreibst du, Silvia."?

Unterhalte dich mit Kindern. Frage nach. Sie sind so klar. Sie spüren häufig ganz genau, was da passiert. Es überrascht mich nicht, dass dieses System immer weniger funktioniert.

Die Kinder sind stark, setzen sich für sich ein und wollen ernst- sowie wahrgenommen werden. 

Sie möchten gleich-wertig behandelt werden . Genauso, wie wir Erwachsene. 

Ja und jetzt?

Veränderung ist ein Prozess. Der erste Schritt ist Bewusstheit.

Befass dich mit dem System Bestrafung und Belohnung.

Es gibt Menschen und auch Institutionen, die nicht mehr damit arbeiten.

Es wird Zeit, dass wir uns damit auseinandersetzen, wenn wir eine Veränderung in der Gesellschaft, in den Schulen und in den Familien wollen. Ebenso im Berufsleben.
 

Ich bin davon überzeugt, dass Menschen beitragen wollen, dass es Menschen gut geht und wie Marshall B. Rosenberg auch sagt:

"...vor allem wenn sie es freiwillig tun."


Wie geht das?

In dem ich von mir erzähle.

Es ist ein Unterschied zu sagen:

"Kannst du jetzt mal leise sein(, sonst...)"

"Wenn du leise bist, bekommst du ein Muggelstein für deine Gruppe."

oder

"Du redest seit ungefähr fünf Minuten mit deinem Banknachbarn. Das stresst mich gerade, weil ich gerne deinem Klassenkamerad bei seinem Referat zuhören und mich konzentrieren möchte. Kannst du mich bitte unterstützen und zehn Minuten ohne ratschen auskommen?"

Was denkst du, bei welcher Aussage möchten wir Menschen eher/lieber dazu beitragen und hören auf zu reden?

Natürlich ist das keine Garantie und vor allem sind wir Menschen, also auch Kinder, diese Art des Sprache nicht gewohnt und gleichzeitig:

Wie klingt diese Sprache in deinen Ohren?


Noch ein Beispiel:

"Räum jetzt die Spülmaschine aus! Ich erwarte, dass du hier mithilfst."

"Wenn du die Spülmaschine ausräumst, dann kannst du dir nachher ein Eis holen."

oder

"Ich sehe die Spülmaschine ist sauber. Ich bin gerade erschöpft, weil ich einen anstrengenden Arbeitstag hatte und mich ausruhen möchte. Könntest du bitte die Spülmaschine jetzt ausräumen?"

Bei welcher Aussage würdest du eher/lieber beitragen wollen?


Ja, ich verwende mehr Worte. Man kann das auch kürzer formulieren und gleichzeitig ist es für mich eine Art und Weise sich kennenzulernen somit in Verbindung zu kommen.

Beispiel Spülmaschine:

Ich zeige mich als Mensch. Dass ich erschöpft bin und ich sage, was ich brauche. 

Der andere bekommt zudem die Wahl nein zu sagen (Jede Bitte verträgt ein nein). Schließlich möchte ich, dass auch er/sie gut für sich sorgen. Wenn derjenige nicht auch total erschöpft ist oder einen Termin hat, dann ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass ein Ja kommt, eben weil wir beitragen wollen, dass es nicht nur einem selbst, sondern auch den anderen Menschen gut geht.

Wenn ein nein kommt, bedeutet das nicht, dass ich aufgebe. Ich kann noch weitere Fragen stellen: z.B. "Du sagst nein. Wärst du bereit mir zu sagen, was der Grund für dein Nein ist?"

"Ich will JETZT nicht." "Ah okay, magst du später die Spülmaschine ausräumen, oder?. (ggf. noch: Also selbst entscheiden, wann du sie ausräumst/wann du Zeit dafür hast)?" "Ja" "Okay, Das bedeutet du räumst heute noch die Maschine aus?" "Ja" 

Danach könnte ich meine Freude ausdrücken, weil ich gerade Entlastung und Miteinander erlebe:

"Oh, dein Ja freut mich, weil ich mich jetzt ausruhen kann. Ich danke dir."


Das ist Kommunikation auf Augenhöhe für mich. Wir sind gleichwertig.



Erwachsene untereinander reden selten so, wie sie teilweise mit Kindern reden. 

Eigentlich seltsam, oder?

Ich denke, dass wir noch häufig in alten Mustern stecken und es Zeit braucht, dass wir das verändern.

Damit beginnen, können wir jetzt schon.

Als erstes Bewusstheit, dann an der eigenen Kommunikation arbeiten.

Die Gewaltfreie Kommunikation ist für mich das Mittel der Wahl.

Sie ist für mich wertvoll und hilfreich. Die GFK unterstützt mich in vielen Bereichen meines Lebens.

Eben auch beim Thema Belohnung und Lob.


Konnte ich dich inspirieren oder neue Gedanken anregen?

Das würde mich sehr freuen, weil ich mir Veränderung wünsche und ich wünsche mir, dass dieses Thema ernst genommen wird.


Du hast bis hierher gelesen. 

Wow, ich bin begeistert, weil ich 

Interesse und Sinnhaftigkeit erlebe.

Danke.



Du findest diesen Artikel wertvoll und bereichernd?

Teile ihn gerne. Das erfüllt mir Unterstützung und Miteinander.


Herzensgrüße

Silvia