Bewerten & Verurteilen
"Die echte Begegnung von Mensch zu Mensch, ohne Spiel, ohne Maske; eine Begegnung, die nicht belastet ist von unseren Ängsten, Gewohnheiten, Klischees, die nicht die Last der Automatismen und alten Reflexe trägt."
Marshall B. Rosenberg
Wir leben einer Welt, in der Bewertungen, Verurteilungen und "Schubladendenken" immer mehr auftauchen und sich, durch z.B. das Vorleben von Menschen des öffentlichen Lebens zumindest aus meiner Sicht eher verstärken anstatt nachzulassen.
Gleichzeitig erlebe ich mehr und mehr in meiner Arbeit als Coachin und Trainerin, als Freundin und Bekannte, dass die Menschen etwas anderes wollen. Sie wollen Wege kennenlernen auszubrechen und es anders machen.
Die Menschen, die ich schon kenne, die Menschen, die ich kennenlerne, wollen eine Veränderung hin zu mehr Miteinander.
Manche Menschen fordern das und leben es bedauerlicherweise selbst nicht. Sie geben ihr Bestes was sie gerade zur Verfügungen haben. Sie können es im Moment NOCH nicht anders. Wir Menschen wollen beitragen. Kinder wollen beitragen, dass es anderen gut geht. Sie kennen ab und an den Weg NOCH nicht und brauchen uns Erwachsene an ihrer Seite. Unbedingt. Unsere Verantwortung.
Wir können es alle lernen, ja sogar trainieren, in Kontakt zu kommen.
Letztens hatte ich ein Telefonat mit einer Freundin, die einen kleinen Konflikt mit einer Freundin hatte. Sie wollte einen Rat von mir haben, wie sie wieder in Verbindung kommen kann. Sie wollte mit ihr in den Austausch gehen. Ich bin mit der anrufenden Freundin ins Gespräch gegangen, um was es ihr geht, was sie denn jetzt braucht, wie sie sich jetzt fühlt. Klingt nach einem langen Gespräch. Nein war es nicht. Mit den passenden Fragen kann das sehr schnell gehen. Sie fand erstmal die Verbindung zu
SICH SELBST.
Du möchtest mit deinen Mitmenschen in Verbindung kommen? Dann beginne bei dir,
denn Verbindung beginnt als erstes bei mir - zu mir selbst.
Wenn wir streiten, wütend aufeinander sind, geht die Verbindung zu unserem Gegenüber erstmal "verloren" und auch die Verbindung zu uns selbst.
Die Gewaltfreie Kommunikation ist nicht nur eine Kommunikationsart, sondern auch eine Möglichkeit, um mit sich selbst in Verbindung zu kommen. Hilfreich ist da z.B. Selbstempathie.
Wie geht es mir gerade? Wie fühle ich mich? Was brauche ich jetzt (Bedürfnis)?
Es ist wundervoll mit sich selbst in Verbindung zu kommen und dann sich seinem Gegenüber zuzuwenden. Da entstehen dann andere Ideen, wie ich kommunizieren kann, wie ich mich zeigen und dem anderen auf Augenhöhe gegenüber treten kann.
Die besagte Freundin fand dann mit meiner Unterstützung einen Weg mit der Freundin zu kommunizieren und sie war erleichtert und zufrieden, weil sie es geschafft hatte auf Augenhöhe zu kommunizieren UND wieder in Kontakt mit dieser Freundin zu kommen.
In diesem Artikel geht es auch um Bewertung, Verurteilung u.ä.
Wie kommen wir aus diesem Denken heraus? Unsere Gedanken, Erfahrungen und unser Gemütszustand können uns immer wieder verleiten, zu beurteilen, zu interpretieren usw.
Wenn du da aussteigen willst, dann kannst du folgendes tun:
- den ersten Schritt der Gewaltfreien Kommunikation anwenden: die Beobachtung.
Zahlen, Daten, Fakten - ZDF.
- nachfragen: Frag nach, ob du mit deiner Interpretation der Situation mit deinem Mitmenschen richtig liegst. Äußere eine Vermutung und frage dann: Stimmt das so?
Du kannst noch das Gefühl dazu nehmen: z.B. neugierig.
Ich habe gerade gesehen, dass... und habe gedacht, du machst das, weil... (deine Gedanke/Interpretation/Vermutung). Jetzt bin ich neugierig, ob das so stimmt. Stimmt das?
Das wäre eine Idee, wie man nachfragen und erforschen kann, ob die eigene Wahrnehmung mit der Handlung des anderen übereinstimmt.
Probier das mal aus. Vielleicht als erstes nicht in einem Streit ;-).
Du wirst überrascht sein, wie oft wir Menschen mit unseren Interpretationen falsch liegen. Ich finde das immer wieder faszinierend und frage öfter bei Menschen nach, weil ich so noch mehr von meinen interpretierenden und bewertenden Gedanken wegkomme.
Es kann auch sehr lustig sein, was manchmal rauskommt:
Meine ältere Tochter und ich:
Wir haben uns letztens einen Joghurt geteilt. Ein Becher, zwei Löffel.
Wir haben immer abwechselnd genommen. Der Becher war schon relativ leer,
Ich nahm einen halben Löffel und sagt: "Ich habe übrigens jetzt nur einen HALBEN Löffel genommen."
Meine Tochter steckt den Löffel ins Joghurt und nimmt noch weniger als einen halben Löffel aus dem Becher. Ich war irritiert und habe gedacht "Sie will mich wohl jetzt ärgern, dass sie sich noch mehr zurücknimmt, als ich mich oder wie??" (Ja, so kann ich denken ;-) )
Ich wollte wissen, ob ich richtig gedacht habe.
Ich sagte ihr, was ich gedacht habe und fragte sie, ob ich meine Gedanken richtig waren.
Überraschung:
Nein. Sie wollte auch einen halben Löffel nehmen und hat es da nicht hinbekommen.
Wir mussten beide sooo lachen. Wundervoll.
Das hatte ich überhaupt nicht erwartet.
Übrigens, warum ich solche Gedanken s.o. habe: Wie in der Familie tratzen uns auch hin und wieder gerne, um uns Spaß und Freude zu erfüllen. Gemeinsam lachen ist einfach sehr verbindend.
Also:
Du magst weg von verurteilen, bewerten und interpretieren?
Dann beobachte ohne zu bewerten, übe dich darin und
frag nach, ob du mit deinen Gedanken über das Handeln des anderen richtig liegst.
Es wird immer wieder überraschend sein :-).
Ich freue mich, dass du den Artikel zu Ende gelesen hast. Ich freue mich, wenn ich dich inspirieren und vielleicht auch zum schmunzeln bringen konnte. Denn das mag ich beides sehr gerne. Da erlebe ich Sinnhaftigkeit und Verbindung.
Ich grüße dich herzlich
deine Silvia