Gedanken und ihre Wirkung

27.04.2024

"Die Ursache unserer Wut liegt in unserem Denken. In unseren Schuld- und Urteilsgedanken."

Marshall B. Rosenberg

Ich habe letztens mal wieder das Hörbuch über Wut von Marshall B. Rosenberg angehört, indem er über eine Situation berichtet, die sehr anschaulich zeigt, wie unsere Gedanke zu Verurteilungen und Bewertungen führen.

Marshall B. Rosenberg erzählt von zwei Situationen, die ziemlich ähnlich waren, außer dass nicht die selben Menschen beteiligt waren.

Er war in einer Besserungsanstalt für Jugendliche, um mit ihnen zu arbeiten.

An dem einen Tag gab es ein Gerangel und er bekam (aus versehen) einen Schlag gegen seine Nase. Er wurde wütend und regte sich darüber auf. Er schimpfte den Jugendlichen.

Danach wunderte er sich über sich selbst und versuchte herauszufinden, warum er so agierte.

Am nächsten Tag gab es eine ähnliche Situation und er bekam wieder einen Schlag auf seine Nase. Dieses mal regte er sich nicht auf, sondern konnte empathisch zu dem Jungen sein, von dem er den Schlag (aus versehen im Gerangel) bekam.

Marshall B. Rosenberg war verwirrt und reflektierte über diese beiden Situationen. Irgendwann erkannte er den Unterschied, warum er einmal so und einmal so reagierte. Einmal wütend und einmal empathisch.

Es hatte mit seinen Gedanken zu tun.

Was denkst du war der Grund, dass er auf eine sehr ähnliche Situation so unterschiedlich reagierte? Welche Gedanken beeinflussten ihn so sehr?


Unsere Gedanken bewirken Gefühle. Je nachdem, wie ich eine Situation gedanklich beurteile, werde ich dazu passende Gefühle empfinden.

Wir reagieren dann danach. Wenn ich zum Beispiel denke, dass ich Recht habe, wird es mich wahrscheinlich aufregen, wenn der anderer ebenfalls denkt, dass er Recht hat. Vermutlich werden wir uns beide verurteilen. Vielleicht bis hin zu "Bist du dumm?" (Bsp. o.ä.) zu denken oder sogar zu sagen.

Hier ein Zitat, welches zeigt, welches Bedürfnis unerfüllt ist:

"Bei einem Streit ist auf beiden Seiten der Wunsch gleich groß ernst genommen zu werden."

Marshall B. Rosenberg

Wir möchten ernst genommen werden und vielleicht auch recht haben. Es gibt in dem Moment zwei Wahrheiten und jeder denkt: "Ich habe Recht!".

Und wer hat nun Recht? Das ist die Frage. Wir könnten statt zu streiten, uns hinsetzen und vielleicht im Internet nachschauen oder einen Telefon-Joker anrufen, der die Antwort sicher weiß ... 

Oder wir machen mit unserer Diskussion weiter mit der wahrscheinlichen Konsequenz, dass unsere Verbindung zueinander abbricht. Und nicht nur das. Meistens bricht auch die Verbindung zu uns selbst ab, weil wir nicht hin spüren, was gerade in uns los ist. Was brauche ich jetzt gerade? 


"Menschen machen uns nicht wütend. Wir machen uns selbst wütend, durch unsere Art zu denken."

Marshall B. Rosenberg


Zu Beginn des Artikels ging es um Marshall B. Rosenberg
und die zwei Situationen mit unterschiedlichen Jugendlichen.

Rosenberg fand heraus, was ihn dazu brachte, dass er einmal so und einmal so reagierte:

Er hatte die Jungs schon vor diesen Situationen kennengelernt. Bei dem Jungen in der ersten Situation kamen ihm Gedanken, wie "Was für ein verzogener Junge..." usw.

Als er dann den Schlag gegen die Nase bekam, waren diese verurteilenden Gedanke über den Jungen präsent und er reagierte mit Wut, weil er sich von "so einem Jungen" so etwas nicht gefallen ließ.

Über den Jungen am nächsten Tag hatte er beim Kennenlernen andere Gedanken. Er hatte seine Geschichte gehört und hatte da schon Mitgefühl mit dem Jungen und seiner Vorgeschichte. Als er dann von diesem Jungen einen Schlag auf diese Nase bekam, reagierte er mit Empathie, eben weil er den Jungen vorher anders "bewertet" hatte, als den aus der ersten Situation.

Ich finde diese kurz aufeinanderfolgenden Situationen und das Erforschen von Rosenberg sehr spannend und schaue mir seitdem meine Situationen, in denen ich wütend oder ärgerlich bin im Nachhinein nochmal genauer an und überlege: "Was habe ich vorher gedacht, so dass ich in den Ärger bzw. in die Wut gegangen bin?" Das braucht Training und Übung, weil diese Gedanken kurz vor so einer Situation teilweise sehr schnell da und wieder weg sind. Gleichzeitig spüre ich allein durch das Üben, wie ich noch mehr Verbindung zu mir bekomme und auch Verständnis für mich. Dadurch werde ich mehr und mehr gelassen bzw. es hilft mir, den Ärger nicht gegenüber der Person rauszulassen, sondern bei mir zu bleiben und meiner selbst bewusst zu werden.

Letztens hatte ich eine Situation mit meinem Mann, wo genau das passiert ist, das ich mich ärgerte und gleichzeitig wusste, dass mein Mann   keine    Schuld an meinem Ärger hat. Ich habe überlegt, was ich vorher gedacht habe und tatsächlich: Es war ein verurteilender, bewertender Gedanken. Puuh, das hat mich tatsächlich erschreckt, weil ich mir in diesem Moment, als ich mich ärgerte, mir meiner Gedanken nicht bewusst war.

Mein Ausbilder Andi Schmidbauer sagte immer, wenn ich mich ärgere, soll ich nichts sagen, sondern erforschen, was in mir los ist. Für diesen Tipp bin ich ihm sehr dankbar. Dieser Hinweis hat mir, was das Thema Wut/Ärger angeht, die Augen geöffnet. Ich habe auch dadurch eine guten Kontakt zu mir selbst gefunden. 

Wut und Ärger sind Sekundärgefühle, das bedeutet, das dahinter ein Primärgefühl liegt, wie z.B. traurig, enttäuscht, unzufrieden, erschreckt (s. Gefühlsliste).

Für mich ist es so wertvoll, dahinter zu schauen, weil ich immer wieder erlebe, wie ich zu mir finde und mir meiner selbst mehr und mehr bewusst werde, so dass ich die Verantwortung für meine Gefühle und auch unerfüllten Bedürfnisse übernehme. Das wiederum ist so befreiend. Ich spüre innere Ruhe und erlebe höhere Resilienz in herausfordernden Situationen.

Und: Ich komme zu Verständnis für mich und für mein Gegenüber.


"Willst du Recht haben oder glücklich sein? Beides geht nicht."

Marshall B. Rosenberg



Es gibt noch ein weiteres Zitat von ihm zum Thema Konflikt:

"Um den Prozess der Konfliktlösung zu üben, müssen wir das Ziel, Menschen dazu zu bringen, das zu tun, was wir wollen, vollständig aufgeben."

Marshall B. Rosenberg

Dieses Zitat darf zum Nachdenken anregen und wenn du in den Austausch gehen möchtest, dann schreib mir gerne eine E-Mail über das Formular Kontakt.


Ich grüße dich herzlich

Silvia